Welcome to Russia

Vor einiger Zeit hieß es noch „Besuche die Sowjetunion, bevor sie dich besucht“. Manche meinen ja, dass dieser Ausspruch wieder aktuell wird. Wir haben dazu keine Meinung, aber wir haben einige Orte der Russischen Förderation besucht. Und es hat uns gut gefallen. Die Einreise war etwas holprig, was aber in erster Linie an der Straße lag. Die Begrüßung fiel mit „Welcome to Russia“ sehr freundlich aus. Die Landschaft rechts und links der Straße zu unserem ersten Anlaufpunkt Samara wirkte direkt heimisch. Wald, bewirtschaftete Felder und das Straßenbauamt, welches die Grünstreifen an der Straße mähte. Letzter Punkt stimmte einen der Reiseteilnehmer geradezu euphorisch.

Samara hieß zu Sowjetzeiten Kuybyshev und war geschlossene Stadt – das heißt für Ausländer tabu – da hier wichtige Rüstungsbetriebe liegen (u.a. werden hier die Sojus-Raumkapseln gebaut). Die Stadt war so wichtig, dass Stalin sich während des zweiten Weltkrieges hier einen Bunker bauen ließ, um im Falle einer Besetzung Moskaus durch die Deutschen den Krieg weiterführen zu können.
An der Wolga gelegen, bietet Samara eine sehr lange Uferpromenade mit Sandstrand auf der einen und ein Naturschutzgebiet auf der anderen Seite des Flusses, sodass man immer ins Grüne blickt. Als wir an einem Freitag ankamen, war die Promenade rappelvoll und es wurde ordentlich gefeiert und gebechert (ein Stadtfest war im Gange, wie man uns später mitteilte). Alles war ganz so wie wir es aus Deutschland kannten. Darüber waren wir nach vielen Wochen Kulturtourismus nicht wenig erfreut. Am nächsten Tag ließen wir es uns nicht nehmen zum zuvor erwähnten Stalinbunker zu schlendern. Das sollte sich lohnen. Im Jahr 1941, nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjets, ließ Stalin den Bunker in aller Schnelligkeit und trotzdem aller Heimlichkeit von Moskauer Metroingineuren bauen. Die bauten einen Schacht der 12 Stockwerke in die Tiefe geht und von einen mehrere Meter dicken Stahlbetonmantel umgeben ist. Der Bunker war höchstes Staatsgeheimnis und selbst die Mitarbeiter im Gebäude oberhalb des Bunkers hatten keine Ahnung von seiner Existenz. Erst 1991 kam die Sache ans Licht. Interessanterweise ist der Bunker immer noch intakt und könnte genutzt werden (siehe erstes Zitat).

Auf dem Weg nach Norden entschieden wir uns einen Zwischenhalt in einem Sanatorium am Kuybyshever Stausee einzulegen. Die Wolga wird hier zu einem der größten Stauseen Europas aufgestaut, links und rechts sind Kieferwälder. Das Sanatorium atmete den Charme der Sowjetjahre und auch die Damen von der Administration dieser Institution atmen ihn mit. In Russland muss man sich mit einem Touristenvisum nach spätestens sieben Tagen registrieren lassen sonst gibt es Ärger. Die Registrierung übernimmt das Hotel. Wir fragten also die Damen von der „Administratia“ ob sie das für uns übernehmen würden. Hinter den Kulissen begann nun scheinbar der gesamte Sanatoriumsapparat zu arbeiten und am Ende des Tages (also gegen 23 Uhr abends) kam der Chef unseres Sanatoriums aus der nächstgelegenen Provinzstadt mitsamt der gesamten Administrationsbelegschaft, um uns mitzuteilen, dass ihn der Leiter der Behörde persönlich aufgefordert habe uns aus der Unterkunft auszuweisen. Durch die ganzen Nachfragen zu unserer Registrierung war wohl Bewegung in die Behörde gekommen und es hatte sich herausgestellt, dass die Dame, die sonst die Registrierungen durchführt, aktuell im Urlaub ist und niemand sonst weiß wie die Prozedur durchzuführen ist. Da aber bei versäumter Registrierung dem Sanatorium die nicht unerhebliche Strafe von umgerechnet 100.000€ droht, gab es keine andere Möglichkeit als unsere Übernachtung ungeschehen zu machen. Während der Chef uns diese Nachricht überbrachte, befanden wir uns mit dem Rest der Administration im Sekreteriat des Sanatroiums und die Situation mutete wohl allen recht grotesk an. Da wir um die Zeit natürlich nicht mehr fahrtüchtig waren und dazu mitten im Wald schlechte Karten hätten eine alternative Unterkunft zu finden, einigten wir uns darauf am morgigen Tag in aller Frühe aufzubrechen und unsere Sanatoriumsrechnung der Administration zu überlassen. So fand der Abend doch noch einen für alle zufriedenstellenden Abschluss.

Weiter ging es nach Norden und zwar nach Nischni Nowgorod. Ein nettes Stätdchen mit einem alten Kreml am Zusammenfluss von Wolga und Oka sowie zahlreichen bürgerlichen Gebäuden.

Für alle Backpacker müsste Russland eigentlich ein Paradies sein. Es gibt eine gute Infrastruktur, zahlreiche Hostels, die Preise sind niedrig und es gibt viel unberührte Natur. Leider rangiert Russland aber scheinbar nicht unter den „Top Ten“ auf der Backpacker-Liste, sodass wir auch nur wenige antrafen (erstaunlicherweise keinen einzigen Deutschen). Beim Reisen beschweren sich immer wieder Menschen über die sich überall ergießenden und niemals verebbenden Touristenmassen. Vor denen ist man in Russland (abgesehen von St. Petersburg und Moskau) ziemlich sicher. Hier noch eine kleine Nicht-Empfehlung zum einschlägigen Reiseführer für Rucksacktouristen „lonely planet“. Dessen Russland Version muss von einem Veteran des Kalten Kriegs geschrieben worden sein und ist außerdem recht kurz und oberflächlich. Besser Wikipedia für die Sehenswürdigkeiten und Wikivoyage/Google fürs Praktische. Eine SIM-Karte gibt es schon ab 3€ inklusive 2 Wochen mobile Daten.

Weiter ging es zum goldenen Ring. Der goldene Ring ist eine Reiseroute und bezeichnet eine nicht genau definierte Anzahl altrussischer Städte im Nordosten Moskaus (wir sahen Susdal, Rostow und Rybinsk). Wer sehen möchte wie Russland vor der bolschewistischen Revolution aussah, ist hier genau richtig: agraisch, religiös und traditionell. Dementsprechend gibt es viele Felder, Klöster, Kirchen und die typisch russischen Holzbauten (siehe Fotos). Wir übernachteten auf einem Campingplatz in Susdal und wurden dort von der Belegschaft eines Gasunternehmens auf Betriebsausflug zum Barbecue mit alkoholischer und musikalischer Begleitung eingeladen.

Die meisten Traveller erzählen, wenn sie vom Reisen zurückkommen, dass die Einheimischen superfreundlich und supernett oder auch megahilfsbereit und megagastfreundlich gewesen sind. Das wird dem Russlandreisenden eher nicht passieren. Natürlich gibt es immer Ausnahmen. Aber so ganz allgemein und stereotyp gesagt, ist der Russe erstmal schroff und taut erst mit der Zeit (manchmal scheint Alkohol auch zu helfen) und nach einigen Gesprächen auf und wird dann tatsächlich ganz nett. Da aber nicht viele Traveller Zeit haben und noch weniger Russisch sprechen, bleibt das mit der Nettigkeit der Russen ein Problem. Das bestätigte uns auch ein Pärchen aus Australien, das wir ebenfalls auf dem genannten Campingplatz trafen. Die beiden fuhren mit ihrem 20 Jahre alten Toyota Land Cruiser den ganzen weiten Weg aus Australien und haben es sogar bis nach China geschafft. Was mit eigenem PKW wahrlich nicht ganz einfach und nicht ganz billig ist (geht nur mit chinesischem Reiseführer und einer im Voraus genau festgelegten Route – Preis pro Tag für den Reiseführer: 150 US-Dollar). Susdal selbst ist ein nettes, ruhiges, kleines Städtchen mit vielen Klöstern, Kirchen und Holzhäusern (siehe Fotos).

Je weiter wir nach Norden kamen umso weniger Städte, mehr Nadelbäume und mehr Seen fanden wir. Die weniger dichte Besiedlung lud zum campen ein, was wir auch taten. Eines Tages gelangten wir durch Zufall zu einem Camping-Platz von der Russischen Windsegel-Förderation. Ein Veteran des Wind-Surfings betreibt ihn an einem weiteren Stausee der Wolga. Da es hier windig und für uns ungewohnt kalt war, baten wir ihn seine selbstgebaute russische Banja (=Sauna, er hatte sie in einen Schiffscontainer eingebaut) mit Holz einzuheizen und gossen ordentlich auf, um uns danach im Wasser des Sees wieder abzukühlen. Einfach Herrlich!

Zu guter Letzt und kurz vor der finnischen Grenze lag St. Petersburg mit seinen unzähligen Sehenswürdigkeiten vor uns. Die Stadt an der Ostsee mit circa 5 Millionen Einwohnern ist ein architektonisches Freilichtmuseum mit einer unvergleichlichen Bausubstanz. Im zweiten Weltkrieg war sie ohne militärische Notwendigkeit für 871 Tage von der deutschen Wehrmacht belagert worden, ungefähr die Hälfte der damals ca. 3 Mio Einwohner starb dabei. Daher steht Petersburg wie keine andere Stadt Russlands für den erfolgreichen Widerstand gegen Nazideutschland. Leningrad selbst (so hieß die Stadt bis 1991) ist wie Venedig zu einem Teil auf Inseln im Wasser gebaut und liegt an der Mündung der Newa in die Ostsee. Nach Venedig ist sie die Stadt mit den meisten Baudenkmälern der Welt. Zwei Highlights, welche sich neben uns gefühlt alle Touristen angesehen haben, sind die Eremitage (=Winterpalast der Romanows) und das Katharinenschloss 30km außerhalb der Stadt. In Russland nicht von Touristen verwöhnt, sollten wir hier nochmals die volle Dröhnung des Massentourismus erleben. Übervolle Reisebusse und Kreuzfahrtsschiffe entleerten ihre Massen in die riesigen Gänge der königlichen Gebäude und ließen diese ziemlich schnell klein, eng und stickig werden.

Die Eremitage kann man etwas salopp als Aneinanderreihung pompöser königlicher Gemächer unterschiedlicher Epochen und Stilrichtungen beschrieben. Das Interior oder auch Dekor bilden goldene mechanische Vögel, Tischplatten mit feinsten Mosaiken und eine der größten Gemäldesammlungen Europas (mit einem der wenigen Originale von Leonardo da Vinci). Im großen vaterländischen Krieg (so wird der 2.Weltkrieg in Russland genannt) ist diese glücklicherweise nahezu unversehrt geblieben. Anders verhielt es sich mit dem Katharinenpalast. Hier quartierten sich deutsche Truppen ein und hinterließen den Palast ausgebrannt in Ruinen. Zuvor wurde natürlich noch das Bernsteinzimmer geraubt. Wie die Nazis das mit ihrem Mythos von der größten kulturschaffenden Rasse der Arier vereinbaren konnten, bleibt ihr Geheimnis. Heutzutage sieht sahen wir nur noch alte schwarz-weiß Bilder von den Zerstörungen – sonst ist alles „neu“. Als eines der letzten großen Projekte des Wiederaufbaus, konnte im Jahr 2003 eine Rekonstruktion des Bernsteinzimmers durch Putin und Schröder feierlich eingeweiht werden.

Vor unserer Abreise aus St. Petersburg wollen wir aber nicht vergessen zu erwähnen, dass Ginas hintere linke Feder gebrochen war. Grund sind die Straßenstrapazen, die sie bisher ertragen musste (hier vor allem Turk- und Usbekistan zu nennen). Natürlich verpassten wir ihr eine neue Hüfte. Allerdings in einer äußerst preisgünstigen Werkstatt, ein Schnäppele würde der Schwabe da sagen! Jetzt springt sie auch wieder wie ein junges Reh.

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Ginas gebrochener Lauf

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